WIE SOLL BILDUNG EIGENTLICH AUSSEHEN?

Als Schüler:innen und Student:innen verbringen wir einen großen Teil unserer Lebenszeit mit Bildung: Wir besuchen Schulen, Unis und Berufskollegs. In unserer Freizeit lernen wir für Klausuren und erledigen Hausaufgaben. Auch findet ein großer Teil unseres Soziallebens im Rahmen von Bildungseinrichtungen statt: Wir finden neue Freund:innen unter unseren Mitschüler:innen und Kommiliton:innen und tauschen uns über Lernstoff und unser Privatleben aus.

Dabei machen sich die wenigsten Gedanken darüber, was Bildung eigentlich genau ist, welche Rolle sie für unsere Gesellschaft spielt und wie Bildung besser gestaltet werden könnte. Unter Bildung sind zuerst einmal alle Prozesse zu verstehen, in denen sich Menschen aktiv Wissen über die Welt aneignen. Dabei sind Lernprozesse vielfältig: Menschen bilden sich geistig, kulturell und sozial. Bildung ist allgemeine Voraussetzung für die Erhaltung des enormen Wissens der Menschheit und für die Bestandsfähigkeit der menschlichen Gesellschaft: Die geistigen Fähigkeiten des Menschen sind grundlegende Voraussetzung für den Austritt des Menschen aus der Natur, weil sie ihm ermöglichen, diese Natur zu bearbeiten und seinen Bedürfnissen anzupassen, anstatt ihr ausgeliefert zu sein. Indem Bildung Wissen erhält, sorgt sie also direkt für den Fortbestand menschlicher Zivilisation und ist damit eine allgemein menschliche Kategorie. Ziel ist hierbei immer ein gesellschaftsfähiger, selbstständig denkender Mensch.

BILDUNG IST EIN AKTIVER PROZESS

In unserem Alltag erleben wir Bildung oft nur in der Form „ein:e Lehrer:in bringt Schüler:innen etwas bei“. Bildung ist jedoch weitaus mehr als das. Bei Bildung setzt sich erst einmal ein:e Lerner:in aktiv mit einem Thema auseinander, anstatt blind zu übernehmen und Wissen auswendig zu lernen, das von einer Autoritätsperson beigebracht wird. Zu Bildung gehört genauso der aktive Austausch und Diskussionen mit anderen Lernenden über den aktuellen Lerngegenstand. Problem hierbei ist oft der enge zeitliche Rahmen, der in Lehrplänen oder Modulhandbüchern abgesteckt wird. Hier fehlt oft schlicht die Zeit, um Lernenden Raum zu geben, damit sie selbstständig ein Thema erkunden und diskutieren können.

Bildung kann auch unabhängig von Lehrpersonen stattfinden: So würde eigenständige Lektüre zu Hause, der Bibliotheks- oder Museumsbesuch oder das Schauen von Dokumentarfilmen genauso unter den Begriff Bildung fallen. Bildung findet also lebenslang statt und hört nicht beim Schul- oder Universitätsabschluss auf.

BILDUNG IST IMMER ZIELGERICHTET

Bildung ist immer zielgerichtet: Dabei zeigt sich die gesellschaftliche Funktion von (Schul-)Bildung in der Auswahl von Inhalten und Methoden. In Bildung spiegeln sich immer politische und ökonomische Interessen wider: Im Kapitalismus bedarf dabei die Wirtschaft allgemein gebildeter Arbeitskräfte, um die immer komplexer werdenden Aufgaben der Industriegesellschaft zu bewältigen: So werden gerade in den kapitalistischen Zentren Arbeiter:innen immer mehr mit Aufgaben wie Planung, Entwicklung, Verteilung etc. konfrontiert, die eigenmächtiges Denken und Handeln erfordern und damit höhere Bildung benötigen. Fortgeschrittene Bildung ist also eine ökonomische Notwendigkeit, um den Anforderungen des Industriekapitalismus gerecht zu werden und weiter Waren zu produzieren. Komplexe Produktionsabläufe und Arbeitsteilung sind also ohne Bildung breiter Schichten nicht mehr möglich. Nach unserem Verständnis sollte die Zielsetzung Bildung aber auf mehr als die Warenproduktion ausgerichtet sein.

Ziel sollte dazu eine menschlichere, vernünftigere und solidarischere Gesellschaft sein. Dazu sollte sie Heranwachsenden das kognitive Handwerkszeug geben, ihre gesellschaftliche und ökonomische Umwelt zu begreifen, ihre eigene Interessenlage zu erkennen, und danach politisch verändernd einzugreifen.

Dabei soll sich Bildung gleichzeitig gegen die Verrohung der Bildung selbst einsetzen, die nur noch als Vorbereitung auf zukünftige Arbeitsverhältnisse, aber nicht mehr als Erkenntnis, Ermächtigung zur eigenen Mündigkeit und geistiger Selbstständigkeit gesehen wird.

WARUM MÜSSEN WIR DAS EIGENTLICH LERNEN? BILDUNG IST MEHR ALS AUSBILDUNG

Untersucht man mit Schüler:innen beispielsweise Gedichte, Kunstwerke oder Musikstücke im Unterricht, wird man als Lehrer:in oft mit der Frage „Wofür brauchen wir das eigentlich später?“ konfrontiert. Fakt ist, dass im Arbeitsleben für die meisten Schüler:innen die Kenntnis von Heine-Gedichten nicht zu Geld zu machen ist. Das ist hier jedoch gerade eine Errungenschaft von Bildung: Bildung gibt hier den Raum, sich umfassend beispielsweise mit ästhetischen Gegenständen auseinandersetzen zu können, ohne mit der Frage nach der unmittelbaren Bedeutung für die Warenproduktion konfrontiert zu sein. Denn Bildung ist mehr als eine Ware, die möglichst schnell fleißige und qualifizierte Arbeiter:innen hervorbringen soll. Das Ziel von Bildung ist also eine umfassende Auseinandersetzung mit Technik, Naturwissenschaften, Sprache, Kultur, Moral, Gesellschaft, etc. und soll in all diesen Bereichen für freie Entfaltung der Potentiale eines Menschen und damit für die Entwicklung der Persönlichkeit sorgen. Geht es nach kapitalistischer Nützlichkeitslogik würden jedoch diese Bereiche nur dort behandelt, wo sie direkt oder indirekt Qualifikationen für die Arbeitswelt darstellen.

BILDUNG SOLL KINDGERECHT SEIN#

So formulierte der Reformpädagoge Janusz Korczak den Satz „Die Entwicklung des Kindes darf nicht der ‚Knechtschaft der Zukunft‘ ausgeliefert werden.“ Bildung soll also vor allem im jungen Alter nicht die Freiheit und Selbstbestimmung von Kindern angreifen, wenn die Kinder dadurch in der Zukunft für die Gesellschaft nütz-
liche Eigenschaften entwickeln. Auch wenn Bildung und Erziehung immer ein zielgerichtetes Einwirken auf Zöglinge sind, gilt es, deren Persönlichkeit zu erhalten und Möglichkeiten zur Entfaltung und weiteren Entwicklung zu geben, anstatt diese von vornherein an wirtschaftliche Interessen anzupassen und schon in der Grundschule Kinder mit Leistungs- und Konkurrenzdenken unter Druck zu setzen.

BILDUNG IST FÜR ALLE DA

Bildung sollte unabhängig von Herkunft, Geschlecht und sozialem Status für jede:n zugänglich sein. Damit setzt sich Bildung historisch gegenüber dem Bildungsprivileg ab, in dem vor allem universitäre Bildung lange Adeligen und dem Bürgertum vorbehalten war, während Kinder von Arbeitern lediglich bis zur achten Klasse die Volksschule besuchten. Auch waren bis ins 19. Jahrhundert Mädchen- und Jungenschulwesen getrennt, wobei dem Jungenschulwesen eine privilegierte Stellung zukam. Frauen und Mädchen haben hingegen erst seit knapp 100 Jahren uneingeschränkten Zugang zu universitärer Bildung. Diese Errungenschaften sind jedoch nicht dem guten Willen der entscheidenden Politiker:innen zu verdanken, sondern wie eben dargestellt eine ökonomische Notwendigkeit, weil Arbeiter einerseits komplexere Tätigkeiten ausführen mussten und andererseits der Bedarf nach qualifizierten Arbeiterinnen gestiegen ist, weil Frauen in den Produktionsprozess integriert wurden. Trotzdem ist auch heute noch der ungleiche Zugang zu (vor allem höherer) Bildung in Deutschland ein soziales Problem: So hängt die Empfehlung für die weiterführende Schule und damit auch die Option auf ein Studium in der BRD immer noch mit der sozialen Herkunft der Eltern zusammen.

BILDUNG ERMÖGLICHT MÜNDIGKEIT

Letztendlich ist das Ziel von Bildung immer die gebildete Persönlichkeit: Ein Mensch entwickelt also seinen Verstand in verschiedenen Dimensionen und kann von seiner Vernunft Gebrauch machen, um selbstständig und kritisch zu Denken und eigene Urteile und Meinungen zu bilden. Seit der Aufklärung nennt man dieses Ziel Mündigkeit. Diese Mündigkeit bezieht sich jedoch nicht nur auf den individuellen Geist, sondern ist auch immer politische Mündigkeit: Der Mensch lernt, seine Umwelt zu erkennen, zu kritisieren und bewusst zu gestalten. Auch wenn Bildung im Kapitalismus nur als reine geistige Qualifikation

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