
In den vergangenen Monaten konnten viele Aktivisten, unter anderem Klimaaktivisten der Letzen Generation und die Angeklagten im Antifa Ost Verfahren, die von einigen Politikern immer so stolz formulierte „volle Härte des Rechtsstaates“ zu spüren bekommen.
Hausdurchsuchungen, Terrorvorwürfe und Haftstrafen – Der Regierung und der Justiz scheint einiges daran zu liegen, in Zeiten der zunehmenden Klimakrise, Verarmung und gesellschaftlichen Polarisierung an Aktivisten, die auf die eine oder andere Art und Weise dagegen ankämpfen, ein Exempel zu statuieren und hart durchzugreifen.
Aber warum?
WAS IST PASSIERT?
In den letzten Monaten gab es auf der einen Seite bundesweite Razzien gegen die Mitglieder der Letzten Generation, auf der anderen Seite ein Urteil im sogenannten Antifa Ost Verfahren. Beide hatten einiges gemeinsam. So wurde in beiden Fällen der § 129 StGB genutzt, der die „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ betrifft. Zudem werden beide Fälle schon seit langem von einer medialen Kampagne begleitet, die die Betroffenen erniedrigt und das harte Vorgehen nicht nur akzeptiert, sondern teils einfordert.
Im Antifa Ost Verfahren wird den Angeklagten vorgeworfen, im Zeitraum von 2018 – 2021 mehrfach Neonazis angegriffen zu haben. Sie sollen zudem einer „kriminellen Vereinigung“ nach § 129 StGB angehören. Lina E. wurde zu fünf Jahren und drei Monaten verurteilt, die weiteren Angeklagten erhielten Haftstrafen von zweieinhalb Jahren, drei Jahren sowie drei Jahren und drei Monaten. Mit dem Urteil endet ein politisch motivierter Prozess, der von vornherein zum Ziel hatte, die Angeklagten stellvertretend für die antifaschistische Bewegung zu kriminalisieren und einzusperren. So ist die Beweislage gegen die vier Betroffenen trotz 98 Prozesstagen als absolut dünn zu bezeichnen, was noch nicht einmal die Generalbundesanwaltschaft in ihrem Plädoyer zum Ende des Prozesses bestreiten konnte.
Die Anklage beruhte lediglich auf Indizien, Mutmaßungen und Konstruktionen. Fragwürdige Anhaltspunkte wurden durchgängig zuungunsten des vier Angeklagten interpretiert, während entlastendes Material systematisch ignoriert wurde. Dass den teils offensichtlichen Lügen und widersprüchlichen Angaben des Kronzeugen eine zentrale Rolle in der Beweisführung zukommt, ist ein weiterer Beleg dafür, wie wenig reales Beweismaterial das Oberlandesgericht als Basis für das politisch gewollte Urteil in der Hand hatte. Bewusst wurden die Angeklagten in die Nähe eines angeblichen „Terrorismus“ gerückt und eine Bedrohung der Öffentlichkeit herbeigeredet und –geschrieben, um das Urteil bereits im Vorfeld zu legitimieren. Schon seit der ersten Festnahme der Hauptangeklagten Lina E. wurde sie in den Medien zu einer gefährlichen Terroristin stilisiert, die mit ihrer Gewalt eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstelle. Der öffentlichkeitswirksame Helikopterflug, mit dem Lina E. vor einigen Jahren transportiert wurde, wurde mit Schlagzeilen wie „Die rote Rächerin“ unterlegt.
Während in ganz Deutschland ein massives Problem mit rechtem Terror innerhalb und außerhalb von staatlichen Institutionen besteht, was tatsächlich eine Gefahr für arbeitende Menschen, insbesondere mit Migrationshintergrund, darstellt und nicht nur nicht verurteilt, sondern in Fällen wie dem NSU sogar gedeckt wird, findet natürlich wenig Platz den Medien. Die Message ist klar: Die Gefahr kommt von links.
Im Falle der Letzten Generation werden die Aktionen des zivilen Ungehorsams als Straftaten gewertet, die so schwer wiegen, dass die Gruppe darum als kriminelle Vereinigung gewertet werden kann. Dieser Vorwurf wird begleitet von immer neuen Hetzkampagnen in der Springer-Presse, die die Stimmung gegen die Aktivisten schüren. Zuletzt hatte es vielerorts gewalttätige Angriffe gegen die Klimaaktivisten gegeben, teils mit brutalem Vorgehen. Natürlich lässt sich kritisieren, dass die Letzte Generation es mit ihren Methoden leicht macht, sie zu marginalisieren und gegen den Großteil der arbeitenden Bevölkerung auszuspielen. Trotzdem muss die Schmutzkampagne als Maßnahme gesehen werden, die die Aufmerksamkeit und die Wut von der Regierung und ihrer menschen- und umweltfeindlichen Politik weglenkt auf diejenigen, die mit allen Mitteln versuchen, irgendetwas dagegen zu tun.
Im Rahmen der Razzia beschlagnahmten die Behörden die Domain der „Letzten Generation“ und leiteten Nutzer auf eine Webseite der Polizei Bayern um, mit einem Hinweis, der die Klima-Gruppe als „kriminelle Vereinigung“ bezeichnete, während die Ermittlungen noch laufen. Ein grober Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art.20 Abs.3 GG) ergibt. Inzwischen wurde das Banner abgeändert. Die Generalstaatsanwaltschaft München räumte ein, dabei einen Fehler begangen zu haben. Es ist allerdings weder ein „Fehler“ noch ein „Missverständnis“, sondern eine bewusste Kampagne, die zum Ziel hat, die Aktivisten von vornherein zu kriminalisieren und in den Augen der Öffentlichkeit auch so darzustellen. Die „volle Härte des Rechtsstaates“ bedeutet also auch, wenn nötig, die eigenen Rechtsstaatsprinzipien mit Füßen zu treten.
„AUF DEM RECHTEN AUGE BLIND“
Natürlich bleibt ein so hartes Vorgehen des Staates nicht ohne Gegenprotest. Dabei geht dieser Protest oft selbst dem Image der Regierung auf den Leim und das staatliche Vorgehen wird an den von der Regierung versprochenen Standards gemessen. Der Staat sei „auf dem rechten Auge blind“ – schließlich wird gegen Rechte nicht annähernd so viel getan. Das stimmt natürlich so weit, doch wenn die Konsequenz ist, dass der Staat gefälligst dem selbstgesetzten Anspruch des Antifaschismus und Klimaschutzes gerecht werden soll, liegt augenscheinlich eine grundsätzliche Fehleinschätzung dieses Staates und seiner Aufgaben vor. Vielmehr zeigen die Verfahren, auf wessen Seite die Justiz und somit der Staat steht, wenn es ernst wird.
In Zeiten, in denen die Klimakrise sich real bemerkbar macht, in Deutschland in erhöhten Temperaturen niederschlägt, in denen die Krise Teile der Bevölkerung in Armut stürzt und durch neue Regeln an den EU Außengrenzen einerseits tausende Menschen dem Tod überlassen werden, auf der anderen Seite als billige Arbeitskräfte ins Land geholt und gegen die hiesige Bevölkerung ausgespielt werden, in solchen Zeiten ist der Staat nicht ein Instrument, was im Namen der Demokratie genutzt werden kann, um all diese Zustände und Ungerechtigkeiten zu beheben. Der Staat ist es, der diese Politik der herrschenden Klasse überhaupt durchsetzt, der gegen die Interessen der arbeitenden Bevölkerung weltweit eine Politik der wenigen, wenn nötig mit Gewalt, verteidigt.
Und da kann es auch nicht schaden, diejenigen, die diese Gewalt zwar nicht tatsächlich angreifen, denn weder die Letzte Generation noch die Antifa Ost sind eine Gefahr für diesen Staat, sie jedoch zumindest in Frage stellen, öffentlichkeitswirksam die „volle Härte“ spüren zu lassen. Die Justiz handelt also nicht widersprüchlich, sondern zeigt ihr wahres Gesicht und erfüllt ihre eigentliche Funktion der Klassenjustiz.
WAS TUN?
Aus dieser Erkenntnis, die die Illusionen des demokratischen Rechtsstaates bei einigen in Luft auflöst und andere zumindest darüber zweifeln lässt, darf jedoch nicht die Konsequenz gezogen werden, dass wir sowieso nichts tun können oder, dass Justiz immer stets mit „Klassenjustiz“ gleichzusetzen ist. Sonst gäbe es nur eine sektiererische Sichtweise, die lautet: „Die Justiz des Klassenstaates ist Klassenjustiz“. Es würde bedeuten, dass weder das Recht noch die Justiz auch Forderungen, Errungenschaften und Positionen der arbeitenden Bevölkerung und ihrer Organisationen enthalten.
Das Arbeitsrecht ist, um es als Beispiel zu nennen, eines dieser Errungenschaften. Es gilt in der juristischen und politischen Praxis diese Errungenschaften zum Klingen zu bringen und weitere einzufordern oder – wie es der junge Karl Marx einmal formuliert hat – den versteinerten Verhältnissen ihre eigene Melodie vorzusingen und sie damit zum Tanzen zu bringen.
In der Geschichte der bürgerlichen Justiz, vor allem nach 1945, waren weder die Justiz noch die Gesetzgebung völlig „immun“ gegen Proteste und Forderungen der Arbeiterbewegung, abgesehen von der Periode des Faschismus. Solange allerdings die Rechtsprechung auch von der Arbeiterbewegung „klaglos“ hingenommen wurde, konnte einer Klassenjustiz nur begrenzt entgegengetreten werden.
Vielmehr müssen wir erkennen, dass diese Maßnahmen nur so lange funktionieren, wie kein ausreichender und breiter Widerstand dagegen entsteht. Begleitet von den Medienkampagnen wird die staatliche Repression vor allem für Gruppen in der Bevölkerung, die von rechts beeinflusst sind, als Gewinn für die breite Masse verkauft – denen haben wir‘s gezeigt! Unsere Aufgabe muss es sein, dieses „wir“ zu brechen.
Ein sehr gutes Beispiel hierfür ist der Fall „Emmely“, einer Kassiererin und Gewerkschafterin, die wegen dem Vorwurf, zwei ihr nicht gehörende Pfandbons im Wert von 1,30 Euro eingelöst zu haben, gekündigt wurde. Die Justiz war gezwungen, die bis dahin „unstrittig“ geltende Rechtsprechung zur sogenannten Verdachtskündigung oder auch zu sogenannten Bagatellstraftaten, aufgrund der großen Empörung und breiten öffentliche Solidarität abzuändern.
Der Staat und damit auch seine Organe wird stets versuchen, die Interessen der herrschenden Klasse durchzusetzen. Ob er es allerdings schafft, hängt von dem Widerstand ab. Und derselbe Staat, der Gesetz nach Gesetz gegen die Interessen der Mehrheit durchsetzt, der 100 Milliarden für Kriegsvorbereitungen ausgibt, während die Bevölkerung immer ärmer wird, derselbe Staat setzt jetzt auch die vielen Maßnahmen und die Repression gegen diese Gruppen durch – und dieser Staat steht nicht auf „unserer“ Seite, sondern uns direkt gegenüber. Es ist wichtig, die richtigen Lehren aus der Lage zu ziehen und nicht demselben Fehler, sich in den Augen der Öffentlichkeit marginalisieren zu lassen, zu unterlaufen, sondern im Gegenteil immer mehr Menschen für eine Sache zu gewinnen.
Anhand der aktuellen Beispiele gilt es jedoch jetzt, die Solidarität zu stärken und immer mehr Menschen deutlich zu machen, dass die Angriffe gegen die Letzte Generation und Antifa Ost, auch wenn wir in vielem nicht mit ihnen übereinstimmen, morgen auch Angriffe gegen uns sein können, die gegen Krieg, Verarmung und Spaltung protestieren.