WEHRPFLICHT: JA, NEIN, DOCH, VIELLEICHT?

Viele von uns kennen die Wehrpflicht nur aus Geschichten von den Eltern. 16 Jahre ist es her, dass die Wehrpflicht in Deutschland ausgesetzt wurde. Seitdem ist sie aber nicht abgeschafft, sondern auf den „Spannungs- und Verteidigungsfall“ beschränkt. Nun wird sie seit einiger Zeit aber immer wieder lautstark von führenden Militärs und Politikern gefordert. Wie genau eine Wiedereinführung der Wehrpflicht aussehen soll, wird dabei kontrovers diskutiert. Wie sehen die Pläne von der neuen Regierung denn aus, kommt nun die Wehrpflicht oder doch nicht? Warum wird es gerade jetzt wieder diskutiert? Und was heißt das für uns Jugendliche?

Spätestens seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wird in Deutschland in raschem Tempo aufgerüstet. Erst kamen über Nacht die 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr, dann die Erhöhung der Militärausgaben im Bundeshaushalt – und jetzt das neue Finanzpaket mit weiteren 500 Milliarden Euro Sondervermögen für Infrastruktur. Damit soll diese „kriegsfähig“ gemacht werden – inklusive gelockerter Schuldenbremse für Ausgaben in Verteidigung, Zivilschutz, Geheimdienste und Cybersicherheit.

Während die Gelder der Bundeswehr also im Überschwang bereitgestellt werden, fehlt es aber weiterhin an Menschen, die die Waffen bedienen können und wollen. So sagte die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD) 2023 schon: „Personal ist aktuell eine fast noch größere Herausforderung als Material.” Denn die Bundeswehr und der Wehrdienst sind in Deutschland tendenziell unbeliebt. So nahmen die Bewerbungen bei der Bundeswehr ab.

Seitdem hat die Bundeswehr zusammen mit dem Verteidigungsministerium eine riesige Werbekampagne gestartet, um die „Trendwende Personal“ zu erreichen, damit sich mehr junge Menschen bewerben und verpflichten. Daher werden wir seit einigen Jahren in allen Lebensbereichen mit Werbung für die Bundeswehr erschlagen. Sei es auf TikTok und Co, auf der Straßenbahn und an den Bushaltestellen. Auch in die Schule kommen Jugendoffiziere, um für den Wehrdienst und den Beruf Soldat zu werben.

Uns soll so die Bundeswehr schmackhaft gemacht werden: mit kostenlosem Studium, gutem Gehalt, Abenteuer, Gemeinschaft – mal mit Nationalstolz, mal mit Wokeness.

ES FEHLT AN KANONENFUTTER

Trotz dieser riesigen Kampagne genügen die Bewerbungen und die Zahl der Soldaten dem Verteidigungsministerium nicht. So fehlen laut hochrangigen Militärs und dem Verteidigungsministerium zehn- bis hunderttausende, die im Kriegsfall bereit wären, für die Profite deutscher Unternehmen zu kämpfen und zu sterben. Neben Berufssoldaten fehlt es vor allem auch an Reservisten, das sind die Personen, die nicht im alltäglichen Leben Teil der Bundeswehr sind, aber an der Waffe ausgebildet sind und im Kriegsfall eingezogen werden. Der Bundeswehrprofessor Carlo Masala betont den Bedarf einer Musterungspflicht besonders ehrlich, wenn er erklärt, dass im Kriegsfall von den kämpfenden Soldaten „nach sechs Monaten ein Drittel gefallen oder verwundet“ ist und es daher Material um „nachzuschieben“ braucht: Das bedeutet, dass bei Kriegsfall alle, die einen Wehrdienst abgeleistet haben, eingezogen und als Kanonenfutter an die Front geschickt werden können, um die Lücken zu füllen, die die bereits Getöteten oder Verletzten hinterlassen. Dafür braucht es einen Überblick, wer dies überhaupt machen könnte.

Dabei haben die Parteien unterschiedliche Ideen, wie sie der Bundeswehr das im Kriegsfall nötige Kanonenfutter ermöglichen. Während die Grünen ein Pflichtjahr vorschlagen, bei dem man, wenn man nicht zur Bundeswehr will, auch als billige Arbeitskraft im sozialen Bereich arbeiten kann, wollen die CDU die möglichst schnelle Wiedereinführung der Wehrpflicht und die SPD möglichst attraktive Anreize für den Wehrdienst schaffen. Obwohl sich diese Modelle der Parteien unterscheiden, sind sie sich dabei im Ziel einig: Deutschland müsse kriegstüchtig werden und infrastrukturell, ideologisch und personell möglichst schnell und effizient auf Krieg vorbereitet werden.

WARUM JETZT?

Denn aufgrund der zugespitzten globalen Konkurrenz ist es für den deutschen Imperialismus, um wettbewerbsfähig zu bleiben, notwendig geworden, in möglichst kurzer Zeit die Bundeswehr, die Infrastruktur und die deutsche Gesellschaft „kriegstüchtig“ zu machen, um bei Bedarf die deutschen Wirtschaftsinteressen auch militärisch durchsetzen zu können. Auch gerade in Anbetracht der Forderung Trumps zur stärkeren Beteiligung Deutschlands an der NATO und zukünftig Deutschlands geostrategischen Interessen mit weniger Rückendeckung der USA durchsetzen zu müssen, fordern Politiker wie Unternehmensvertreter mit umso mehr Nachdruck, dies möglichst rasch und konsequent umzusetzen.

DOCH KEINE WEHRPFLICHT?

Im Koalitionsvertrag haben sich SPD und CDU nun zu weiten Teilen auf das von Boris Pistorius schon im November 2024 vorgeschlagene Modell eines „Neuen Wehrdienstes“ geeinigt. Dieses ist orientiert am schwedischen Wehrpflichtmodell, bei dem alle Schulabgänger:innen gemustert werden und davon dann gezielt besonders „taugliche“ angesprochen und eingezogen werden. „Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert. […] Wir werden noch in diesem Jahr die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung schaffen.“

So sollen nach Pistorius‘ Plan möglichst schon ab Sommer 2025 alle männlichen Schulabgänger (junge Frauen freiwillig) zunächst verpflichtend einen Fragebogen zur körperlichen Fitness und Bereitschaft zum Dienst in der Bundeswehr ausfüllen müssen. Damit soll als erster Schritt die Wehrerfassung wieder ausgebaut werden, der Wehrdienst aber „zunächst“ freiwillig bleiben, während die Anreize wie kostenloses Studium, Führerschein, gute Bezahlung und Karrierechancen etc. das Interesse und die Bereitschaft der Jugendlichen zum Dienst für die Bundeswehr steigern sollen.

Das gibt für uns aber keinen Grund aufzuatmen, denn wir dürfen uns von der formulierten „Freiwilligkeit“ des Wehrdienstes nicht täuschen lassen.

Ein Argument in den Koalitionsverhandlungen, weswegen es „zunächst” bei der Freiwilligkeit bleibt, war sicherlich auch die fehlende Infrastruktur für eine direkte Wiedereinführung der Wehrpflicht. So gibt es aktuell schlicht nicht genügend Kasernen, Betten oder Ausbildungsmaterial, um alle Männer im wehrpflichtigen Alter unterzubringen, geschweige denn eine Wehrerfassung darüber, wer bereit und wer geeignet für einen Wehrdienst ist. Auch das „zunächst” lässt vermuten, dass sobald die nötige Infrastruktur bereitstehen sollte und die Akzeptanz unter der Jugend noch einmal gestiegen ist, der Wehrdienst schneller, als wir gucken können, verpflichtend sein wird.

Wir müssen diesen „Neuen Wehrdienst“ also als einen großen Schritt der Militarisierung und der Aufstockung der Bundeswehr und als einen Schritt in Richtung Wehrpflicht verstehen.

AKZEPTANZ DAFÜR HERSTELLEN

Dabei sind Kriegsbeteiligung, Auslandseinsätze der Bundeswehr, Waffenlieferungen und eine Wehrpflicht in der deutschen Gesellschaft überdurchschnittlich unbeliebt, was auch mit der Geschichte Deutschlands zu tun hat. Die fortlaufende öffentliche Debatte und die immer wieder radikalen Forderungen einer sofortigen Einführung der Wehrpflicht durch Politiker und dann „nur” eine Umsetzung kleiner Schritte in diese Richtung müssen wir als Taktik verstehen, Schritt für Schritt uns an die Verschärfungen und Verschlechterung unserer Lebensbedingungen und immer fortschreitenden Militarisierung zu gewöhnen und dies ohne allzu großen Widerstand durchzusetzen. Auch die Dauerpräsenz von Werbung für die Bundeswehr und die Möglichkeit für Soldaten, kostenlos Bahn zu fahren, wenn sie ihre Uniform tragen, ist ein Teil davon, die Gesellschaft an die Präsenz von Militär und Krieg zu gewöhnen, um die Ablehnung von Aufrüstung und Kriegsbeteiligung zu senken.

WAS BEDEUTET DAS FÜR UNS?

Es sind oft junge Arbeiter, die gezielt mit Versprechen wie Aufstieg und attraktiven Anreizen fürs Militär angeworben werden, während es gerade nicht sie sind, die von den Kriegen profitieren. Stattdessen sterben sie für die Profite einiger Weniger – während die Kinder der Kapitalisten nicht an der Front stehen. Unsere Perspektivlosigkeit wird ausgenutzt und uns ein besserer Job und gute Arbeitsbedingungen versprochen, die am Ende aber heißen, eingezogen zu werden und als Kanonenfutter für die Profite deutscher Unternehmen zu sterben.

Diese Entwicklungen bedeuten für uns Jugendliche, dass wir der Militarisierung und den Kriegsvorbereitungen umso bestimmter den Kampf ansagen müssen. Wir müssen besonders in der Schule die Frage der Wehrpflicht auf die Tagesordnung setzen und mit unseren Mitschülern über die Bundeswehr und die Gründe für Kriege und Waffenlieferungen diskutieren. Denn keiner von uns und unseren Mitschülern möchte in einem Krieg sterben, in dem es für uns nichts zu gewinnen gibt.

Also lasst uns Beispiele hervorbringen, wie wir uns als Schüler gegen die Wehrpflicht und Aufrüstung organisieren!

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